Der Vermächtnisanspruch

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird selten zwischen „vererben“ und „vermachen“ unterschieden. Geht es allerdings um die Nachlassplanung, sollte man sich mit dem erheblichen qualitativen Unterschied auseinandersetzen, um Unklarheiten im Erbfall zu vermeiden. Denn ein Vermächtnis auszusprechen, ist etwas gänzlich anderes, als eine Person zu seinem Erben zu bestimmen.

Ist dem Testament keine eindeutige Unterscheidung zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnis zu entnehmen, muss der tatsächliche Wille des Verstorbenen eruiert werden, was naturgemäß nach dem Ableben des Testierenden schwierig ist. Das kann schlimmstenfalls zu jahrelangen Rechtsstreitigkeiten führen. Bestenfalls wählt der Testierende daher gleich den richtigen Wortlaut:

Mit dem Vermächtnis wird dem Bedachten das Recht gegeben, von dem Erben einen bestimmten Gegenstand zu fordern, beispielsweise ein Auto oder ein Haus. Auch Wohnrechte oder ein Nießbrauchrecht können „vermacht“ werden und so dem Bedachten im Erbfall zugutekommen.

Hiervon zu unterscheiden ist die Erbschaft. Der Nachlass des Verstorbenen geht schon von Gesetzes wegen automatisch mit dem Tod auf den oder die Erben über (§ 1922 BGB). Der Erbe muss also den Nachlass nicht erst einfordern, sondern erhält ihn als Ganzes in der Sekunde des Todes des Erblassers. Bei vorhandenen Pflichtteilsberechtigten und Vermächtnisnehmern ist er dann in der Pflicht, das Erhaltene im Wege des Vermächtnisses oder der Pflichtteilserfüllung teilweise wieder abzugeben.

Das Vermächtnis geht daher auch mit einigen Risiken der Durchsetzung einher. Wenn der Erbe die Vermächtniserfüllung, also die Herausgabe des Gegenstands verweigert, muss das Vermächtnis gerichtlich eingefordert werden. Dabei ist zu beachten, dass auch ein Vermächtnisanspruch der Regelverjährung von drei Jahren ab Schluss des Jahres, in dem der Erbfall eingetreten ist, unterliegt und danach möglicherweise nicht mehr durchgesetzt werden kann. Zudem besteht immer die Gefahr, dass der Vermächtnisgegenstand im Nachlass nicht mehr vorhanden ist. Sollte es sich nicht um ein sog. Verschaffungsvermächtnis handeln, kann es sein, dass der Vermächtnisnehmer leer ausgeht. Ein Verschaffungsvermächtnis verpflichtet den Erben, den Vermächtnisgegenstand wieder zu beschaffen, wenn er im Erbfall nicht mehr im Nachlass vorhanden ist. Ist dies nicht möglich, muss der Erbe ggf. Schadensersatz leisten.

Vermächtnis vs. Pflichtteil

Zu beachten ist auch weiter, dass der Vermächtnisanspruch im Rahmen der Berechnung des Pflichtteils entsprechend Berechtigter (insb. Abkömmlinge oder Ehegatten) nicht in die Wertermittlung mit eingestellt wird. Wenn enterbte und damit pflichtteilsberechtigte Abkömmlinge ihren Pflichtteil fordern, muss der Nachlass durch Gegenüberstellung von Vermögen und Verbindlichkeiten des Erblassers bewertet werden.

Dabei sind aber nicht alle Verbindlichkeiten bei der Pflichtteilsberechnung abziehbar. Insbesondere Vermächtnisse sind nach ständiger Rechtsprechung nicht vom Wert des Nachlasses abzuziehen, um zu vermeiden, dass der Erblasser durch Vermächtnisse den Nachlass schmälert um den Pflichtteilsberechtigten um seinen Geldanspruch zu bringen (vgl. z.B. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.08.2014 – XII ZB 133/12, Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.09.1987 – IV a ZR 97/86 oder das Oberlandesgericht Koblenz, Beschluss vom 03.07.2020 – 12 U 107/20). Der Pflichtteilsanspruch wird nämlich als dem Vermächtnis vorrangig angesehen. Das Oberlandesgericht Koblenz stellte in der vorstehend genannten Entscheidung fest: „Dem zugrunde liegt der Gedanke, dass es dem Erblasser nicht möglich sein soll, den Pflichtteilsanspruch durch freigiebige Vermächtnisanordnungen zu schmälern, wenn nicht sogar auszuhöhlen. Im Ergebnis „schlägt“ somit das Pflichtteilsrecht das Vermächtnis.“

Das kann schlimmstenfalls dazu führen, dass der Erbe den Pflichtteilsanspruch aus dem gesamten Nachlass erfüllen muss, während der Rest des Nachlasses durch Vermächtnisse ausgehöhlt wird. Dem Erben selbst verbleibt dann unter Umständen nur noch ein marginaler Teil des Nachlasses. Wenn der Nachlass nach Erfüllung des Pflichtteils nicht mehr zur Erfüllung aller Vermächtnisse ausreicht, kommt sogar eine Kürzung der Vermächtnisse in Betracht. Der Erbe würde in diesem Fall gänzlich leer ausgehen, hätte allerdings den gesamten Verwaltungsaufwand am Nachlass.

Daniela Braig

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Erbrecht
Wirtschaftsmediatorin