Schweigepflicht und Überlassung von Patientenunterlagen an den Käufer von Arztpraxen oder sonstigen Heil- und Pflegeeinrichtungen

Zu den ältesten Berufspflichten der Ärzte (und der Pflegenden allgemein) gehört die so genannte Schweigepflicht. Bereits der Eid des Hippokrates enthielt die nachfolgende Verpflichtung:

„Was ich bei der Behandlung sehe oder höre oder außerhalb der Behandlung im Verkehr mit den Menschen, soweit man es nicht ausplaudern darf, werde ich es verschweigen, da hier Schweigen Pflicht ist.“

Heutzutage ist die Schweigepflicht in den ärztlichen Berufsordnungen geregelt. Dabei orientieren sich die 17 Landesärztekammern an der vom Deutschen Ärztetag verabschiedeten Musterberufsordnung (MBO). Diese ist selbst nicht rechtsverbindlich. Die Berufsordnungen werden in Form von Satzungen durch die Landesärztekammern erlassen. § 9 Abs. 1 MBO beschreibt, dass der Schweigepflicht nicht nur das unterfällt, was dem Arzt in seiner Eigenschaft anvertraut oder bekannt geworden ist, sondern auch „(…) schriftliche Mitteilungen der Patientin oder des Patienten, Aufzeichnungen über Patientinnen und Patienten, Röntgenaufnahmen und sonstige Untersuchungsbefunde“. Offenbaren ist jedes Mitteilen des Geheimnisses an einen Dritten, der das Geheimnis nicht oder nicht in dem Umfang kennt. Auch schlüssiges Verhalten ist bereits ein Offenbaren. Auch ein Offenbaren durch Unterlassen ist möglich. Ein Verstoß gegen die Schweigepflicht ist es demnach also bereits, wenn geschützte Schriftstücke (Patientenunterlagen, Arztbriefe, usw.) offen herumliegen oder das EDV-System des Krankenhauses nicht vor unbefugtem Zugriff geschützt wird. Darüber hinaus ist die Verletzung der (ärztlichen) Schweigepflicht gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) auch strafbar.

Nach § 9 Abs. 2 MBO sind Ärzte nur zur Offenbarung befugt, soweit sie von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden worden sind oder soweit die Offenbarung zum Schutz eines höherwertigen Rechtsgutes erforderlich ist. Die Schweigepflichtentbindung ist grundsätzlich formlos möglich. Sie kann auch durch schlüssiges Handeln erteilt werden. Hier ist aber ein strenger Maßstab anzulegen. So liegt beispielsweise im Abschluss des medizinischen Behandlungsvertrages nicht die konkludente Entbindung von der Schweigepflicht hinsichtlich der Weitergabe von Patientendaten oder Befunden an privatärztliche Verrechnungsstellen. Hier ist eine ausdrückliche Einwilligung erforderlich.

Darüber hinaus haben (Krankenhaus-) Ärzte gemäß § 9 Abs. 3 MBO ihre Mitarbeiter und die Personen, die zur Vorbereitung auf den Beruf an der ärztlichen Tätigkeit teilnehmen, über die gesetzliche Pflicht zur Verschwiegenheit zu belehren und dies schriftlich festzuhalten. Zu diesem Personenkreis gehören allerdings nicht die Mitarbeiter der Krankenhausverwaltung. Die entsprechenden Mitarbeiter sind nicht Gehilfen der Krankenhausärzte im Sinne des § 203 Abs. 3 StGB. Auch wird allgemein nicht bestritten, dass die Schweigepflicht auch unter Ärzten untereinander besteht. Es ist daher schon zweifelhaft, ob generell Krankenunterlagen an die Krankenhausverwaltung weitergegeben werden dürfen. Auch hier bedarf es generell einer Einwilligung des Patienten.

Vor diesem Hintergrund ist mit der Rechtsprechung für den vergleichbaren Fall des Praxiskaufvertrages oder Krankenhauskaufvertrages zu verlangen, dass vor der Weitergabe der Patientenunterlagen an den Erwerber einer Arztpraxis oder eines Krankenhauses die Zustimmung des Patienten eindeutig und unmissverständlich eingeholt werden muss. Soweit also eine Bestimmung in einem Praxiskaufvertrag oder Krankenhausübernahmevertrag den Veräußerer verpflichten würde, ohne Zustimmung der Patienten die Patientenkarteien zu übergeben (so die etwas antiquierte Form der Dokumentation), würde dadurch das informationelle Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Patienten verletzt. Die rechtliche Folge wäre, dass der gesamte Vertrag wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig wäre (§ 134 BGB). Eine solche Lücke könnte dann auch nicht durch eine „salvatorische Klausel“ wirksam geschlossen werden. Die Rechtsprechung ist in diesem Zusammenhang streng. Es muss demnach auch davon ausgegangen werden, dass bei einem solchen Verstoß gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht auch § 139 BGB die Wirksamkeit der übrigen Vertragsbestandteile nicht zu erhalten vermag. Sinngemäß gilt das deckungsgleich für eine EDV-gestützte Patientendokumentation.

Nachdem es grundsätzlich dem Arzt obliegt, die Zustimmung des Patienten zu einer Weitergabe der ärztlichen Unterlagen in eindeutiger und unmissverständlicher Weise zu erholen, kann insoweit nur bedingt mit einer schlüssigen Zustimmung des Patienten argumentiert werden. Soweit ein Patient den Praxiserwerber oder Krankenhauserwerber aufsuchen würde, um sich von diesem weiterbehandeln zu lassen, würde er damit konkludent zum Ausdruck bringen, dass er mit der Einsicht in die Unterlagen einverstanden ist. Er wird das sogar wünschen. Es blieben dann allerdings immer noch die Fälle, in denen es naturgemäß zu keiner Weiterbehandlung käme. Darüber hinaus ist auch von einer formularmäßigen schriftlichen Erklärung der Patienten bei der erstmaligen Praxis- oder Krankenhausaufnahme abzuraten. Eine solche würde weit in die Zukunft reichen und wäre auch nicht auf einen bestimmten Erwerber individualisierbar. Die Erklärung dürfte daher ohne weiteres gemäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB rechtsunwirksam sein.

Im Zusammenhang mit Praxiskaufverträgen hat sich das so genannte „Zwei-Schrank-Modell“ nach dem Konzept der „Münchner Empfehlungen zur Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht bei Veräußerung einer Arztpraxis“ vom 08.04.1992 herausgebildet. Danach übergibt der Praxisveräußerer dem Übernehmer den geschlossenen Karteischrank mit den gesamten Behandlungsunterlagen, an denen der Veräußerer das Eigentum behält. Die Vertragsparteien vereinbaren darüber hinaus einen Verwahrungsvertrag gemäß §§ 688 ff. BGB, in dem sich der Erwerber verpflichtet, die Unterlagen für den Veräußerer zu verwahren und nur für den Fall Zugriff auf einzelne Unterlagen zu nehmen, wenn ein früherer Patient ihn zum Zwecke der Behandlung aufsucht. Bei einer entsprechenden Kartei mittels EDV muss der alte Datenbestand gesperrt werden und durch ein Passwort geschützt werden. Mit einem so erklärten Einverständnis des Patienten zur Nutzung der Unterlagen geht bei verkörperten Unterlagen das Eigentum dann auf den Erwerber über. Der Veräußerer erhält in der Regel einen Zweitschlüssel zu dem Karteischrank und das Recht, eine Kontrolle der ordnungsgemäßen Verwahrung durchzuführen. Für den Krankenhauskaufvertrag sind daher vergleichbare Einsichtnahmeregelungen und Aufbewahrungspflichten zu vereinbaren. Zwischen der Veräußerergesellschaft und der Erwerbergesellschaft wird im Hinblick auf die Patientenunterlagen ein Verwahrungsvertrag geschlossen. Die Erwerbergesellschaft verpflichtet sich, eine separate und zugriffssichere Aufbewahrung der Patientenunterlagen zu garantieren. Die Verwahrung der Patientenunterlagen wird ausschließlich durch einen ärztlichen Mitarbeiter der Erwerbergesellschaft ausgeübt, mit dem die Veräußerergesellschaft einen gesonderten Verwahrungs- und Treuhandvertrag schließt. Die Erwerbergesellschaft wird nur dann Zugriff auf die Patientenunterlagen nehmen, wenn der Patient, soweit einwilligungsfähig, durch sein Einverständnis und durch sein Erscheinen zur Behandlung mindestens konkludent zum Ausdruck bringt, dass er einer Nutzung zustimmt, oder wenn eine verbindliche schriftliche Anweisung des Patienten zur Aushändigung von Ablichtungen an einen anderen Krankenhausträger vorliegt. Ist der Patient nicht einwilligungsfähig, kommt es insofern auf die Erklärung der einwilligungsberechtigten Person an.

Im Ergebnis ist jedenfalls höchste Vorsicht geboten. Soll die gesetzliche Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB vermieden werden, muss im Sinn der dargestellten Lösungswege professionelle Vorsorge getroffen werden.

Johannes Falch, MBA

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