Ärztinnen und Ärzte müssen tagtäglich verantwortungsvolle Entscheidungen treffen – oft in komplexen medizinischen Situationen. Um die Qualität und Sicherheit ärztlicher Behandlungen zu gewährleisten, gibt es medizinische Leitlinien. Besonders bedeutsam sind die sogenannten S3-Leitlinien. Doch was genau regeln sie? Und welche rechtlichen Folgen kann es haben, wenn Ärztinnen und Ärzte von ihnen abweichen?
Dieser Beitrag erläutert die verschiedenen Arten medizinischer Leitlinien, ihre rechtliche Relevanz und welche Rolle sie in Arzthaftungsfällen spielen.
Medizinische Leitlinien sind systematisch entwickelte Handlungsempfehlungen für die ärztliche Versorgung. Sie sollen helfen, fundierte Entscheidungen auf der Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse zu treffen.
Herausgegeben werden sie in Deutschland unter Federführung der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften). Die Leitlinien werden in drei methodische Entwicklungsstufen unterteilt:
Basieren auf dem Konsens weniger Expert:innen – ohne systematische Literaturrecherche oder formale Abstimmung. Sie dienen eher als Orientierungshilfe.
Gibt es in zwei Varianten:
Sie kombinieren systematische Evidenzrecherche mit einem formalen Konsensverfahren. Sie gelten als maßgeblicher Standard ärztlicher Behandlung – insbesondere in der stationären Versorgung.
Weitere rechtlich relevante Vorgaben im ärztlichen Alltag
Neben medizinischen Leitlinien sind für ärztliche Behandler auch folgende Regelwerke relevant:
Leitlinien sind keine Gesetze. Sie entfalten jedoch erhebliche mittelbare rechtliche Relevanz, insbesondere in der Arzthaftung.
Laut § 630a Abs. 2 BGB muss die Behandlung „nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards“ erfolgen. Leitlinien – vor allem S3-Leitlinien – dienen Gerichten als maßgeblicher Anhaltspunkt für die Feststellung dieses Standards.
Wann wird eine Leitlinie haftungsrechtlich relevant?
In Arzthaftungsprozessen wird geprüft:
Darf ein Arzt von der Leitlinie abweichen?
Ja – aber nur unter bestimmten Voraussetzungen. Leitlinien sind nicht verpflichtend, sondern stellen eine Orientierung dar. Die individuelle Situation des Patienten kann eine Abweichung medizinisch sogar gebieten.
Allerdings gilt:
Besonders riskant wird eine Abweichung dann, wenn sie als grober Behandlungsfehler gewertet wird. In solchen Fällen kann es zu einer Beweislastumkehr zugunsten der Patientin oder des Patienten kommen (§ 630h Abs. 5 BGB). Dann muss der Arzt beweisen, dass der Fehler nicht ursächlich für den Gesundheitsschaden war – was in der Praxis nur selten gelingt.
Ein grober Behandlungsfehler liegt etwa vor, wenn:
S3-Leitlinien sind ein zentraler Maßstab für ärztliches Handeln – medizinisch wie rechtlich. Sie bieten Ärztinnen und Ärzten Orientierung und helfen dabei, die Behandlungsqualität zu sichern. Gleichzeitig dienen sie Gerichten als objektive Grundlage zur Beurteilung, ob eine Behandlung dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprach.
Für Patientinnen und Patienten stellen S3-Leitlinien ein wichtiges Kriterium dar, um eine ärztliche Maßnahme auf ihre Angemessenheit und Sorgfalt hin zu überprüfen. Im Streitfall können sie zur Schlüsselkomponente in der rechtlichen Bewertung eines Behandlungsfehlers werden.
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