Nach Eintritt eines Versicherungsfalls ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, aktiv mitzuwirken – etwa durch Schadenmeldung, Beibringung ärztlicher Nachweise oder Rückfragenbeantwortung. Diese sogenannten nachvertraglichen Obliegenheiten sind in vielen Versicherungsbedingungen geregelt und gesetzlich in § 28 VVG abgesichert.
Ein Verstoß kann zu Kürzung oder sogar vollständigem Verlust des Versicherungsschutzes führen – abhängig vom Grad des Verschuldens.
Ein leicht fahrlässiger Verstoß liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer eine Obliegenheit aus Versehen oder Unachtsamkeit verletzt, ohne sich der Bedeutung seines Verhaltens bewusst zu sein.
Beispiel: Die Schadenanzeige wird verspätet übermittelt, weil der Versicherte das Schreiben des Versicherers übersehen oder die Frist falsch berechnet hat.
Wichtig: Bei leichter Fahrlässigkeit bleibt der Anspruch vollständig bestehen – der Versicherer darf nicht kürzen und ist weiterhin zur Leistung verpflichtet.
Diese Regelung stellt sicher, dass Versäumnisse ohne erkennbaren Willen zur Pflichtverletzung nicht sanktioniert werden. Für den Versicherer besteht in diesem Fall kein Leistungsverweigerungsrecht.
Wird die Obliegenheit grob fahrlässig verletzt, darf der Versicherer die Leistung nach Maßgabe der Schwere des Verschuldens anteilig kürzen (§ 28 Abs. 2 VVG). Grobe Fahrlässigkeit bedeutet, dass der Versicherte die gebotene Sorgfalt in besonders schwerem Maße außer Acht lässt.
Beispiel: Der Versicherungsnehmer ignoriert eine eindeutige und bekannte Frist zur Einreichung von Nachweisen – aus Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit.
In besonders gravierenden Fällen kann dies sogar zur vollständigen Leistungsfreiheit führen.
Sowohl bei grober Fahrlässigkeit als auch bei Vorsatz kann der Versicherungsnehmer durch einen Kausalitätsgegenbeweis die Leistungspflicht des Versicherers erhalten (§ 28 Abs. 3 VVG):
War die Obliegenheitsverletzung für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht nicht ursächlich, bleibt der Versicherungsschutz bestehen.
Beispiel: Der Versicherte reicht ein ärztliches Gutachten verspätet ein, das jedoch keine neuen Erkenntnisse enthält – weil die Diagnose längst aktenkundig ist. In diesem Fall greift der Gegenbeweis.
Hinweis: Der Beweis obliegt dem Versicherungsnehmer. Eine anwaltliche Prüfung ist empfehlenswert, um Chancen und Beweisführung richtig zu bewerten.
Bei einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine Obliegenheit verliert der Versicherungsnehmer grundsätzlich seinen Versicherungsschutz. Der Versicherer kann die Leistung verweigern, wenn der Verstoß kausal für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht war.
Beispiel: Der Versicherte lässt bewusst Fristen verstreichen oder unterlässt die geforderte Mitwirkung, um kritische Informationen zurückzuhalten.
Aber: Der Kausalitätsgegenbeweis ist hier – anders als bei Arglist – zulässig (§ 28 Abs. 3 VVG). Gelingt es dem Versicherungsnehmer nachzuweisen, dass der Verstoß keine Auswirkungen hatte, bleibt der Anspruch bestehen.
Arglist liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und mit Täuschungsabsicht gegen seine Mitwirkungspflichten verstößt – etwa durch Falschangaben oder gefälschte Dokumente.
Beispiel: Der Versicherte reicht manipulierte Belege ein, um höhere Leistungen zu erhalten.
Bei Arglist ist der Versicherer ausnahmslos leistungsfrei – auch dann, wenn die Täuschung keine Auswirkungen auf die Schadenprüfung gehabt hätte.
Die Rechtsfolge bei einer Obliegenheitsverletzung hängt entscheidend vom Verschuldensgrad ab:
Verschuldensgrad | Kürzung möglich? | Leistungsausschluss? | Kausalitätsgegenbeweis möglich?
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Leichte Fahrlässigkeit | ❌ Nein | ❌ Nein | –
Grobe Fahrlässigkeit | ✅ Ja (anteilig) | ✅ Möglich | ✅ Ja
Vorsatz | ❌ Nein | ✅ Immer | ❌ Nein
Arglist | ❌ Nein | ✅ Immer | ❌ Nein
Wir prüfen für Sie:
– ob überhaupt eine Obliegenheit verletzt wurde,
– welcher Verschuldensgrad vorliegt,
– ob ein Kausalitätsgegenbeweis geführt werden kann,
– wie sich Ihr Anspruch wirksam durchsetzen lässt.
Lassen Sie sich nicht durch pauschale Leistungsverweigerungen einschüchtern. Wir vertreten Ihre Interessen fundiert, entschlossen und mit Augenmaß.
Rechtsanwältin