Pflichtteilsansprüche und Pflichtteilsergänzungsansprüche

Pflichtteil- und Pflichtteilsergänzungsansprüche

Bestimmte Verwandte eines Verstorbenen haben grundsätzlich sog. Pflichtteilsansprüche. Der Anspruch beläuft sich der Höhe nach auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, der in §§ 1922 ff. BGB geregelt ist. Der Pflichtteil ist dabei eine von Gesetzes wegen gewährte „Mindestteilhabe“ am Nachlass des Verstorbenen insbesondere für den Fall, dass der Verstorbene einen entsprechend berechtigten Verwandten enterbt hat. Dieser Anspruch steht aber zunächst nur den direkten und nächsten Verwandten des Erblassers zu, nämlich den „Abkömmlingen“, dem Ehegatten des Verstorbenen und unter Umständen auch den Eltern, §§ 2303, 2309 BGB. Bei Abkömmlingen kann es sich um die Kinder, aber auch um die Enkel oder Urenkel des Erblassers handeln. Enkel oder Urenkel erhalten einen Pflichtteilsanspruch allerdings erst, wenn der vom Erblasser abstammende Elternteil vorverstorben ist. Eltern und entferntere Abkömmlinge erhalten erst einen Pflichtteilsanspruch, wenn keine Abkömmlinge vorhanden sind (§ 2309 BGB).

Der Pflichtteil ist diesen engen Verwandten sicher und kaum zu umgehen. Nur unter sehr engen Grenzen (zum Beispiel, wenn der Pflichtteilsberechtigte dem Erblasser nach dem Leben trachtete) kann dieser entzogen werden.

Voraussetzung des Entstehens des Pflichtteilsanspruchs ist lediglich, dass einer der in § 2303 BGB genannten Personen durch Verfügung von Todes wegen (Testament oder Erbvertrag) von der Erbfolge ausgeschlossen, also enterbt worden ist. Wenn der Pflichtteilsberechtigte zwar nicht enterbt, aber durch bestimmte Umstände dennoch beschwert ist, hat er ein Wahlrecht, das Erbe anzunehmen oder aber auszuschlagen und seinen Pflichtteil zu verlangen. Ein solches Wahlrecht besteht dann, wenn die Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge, einer Testamentsvollstreckung, Teilungsanordnung, eines Vermächtnisses oder einer Auflage vorliegt (§ 2306 BGB). Eine Ausschlagung kann in solchen Fällen unter Umständen Vorteile haben. Der Pflichtteilsanspruch ist nämlich ein reiner Geldanspruch der allen anderen Ansprüchen (z.B. auch Vermächtnissen) vorgeht, während ein (Mit-)Erbe zunächst die Nachlassverbindlichkeiten wie Pflichtteilsansprüche und Vermächtnisse erfüllen muss, gegebenenfalls bis der Nachlass „verbraucht“ ist. Das kann dazu führen, dass hohe Vermächtnisse das Erbe nahezu aushöhlen und ihm dann als Erbe weniger bleibt, als wenn er ausschlägt und den Pflichtteil verlangt.

Erwähnenswert ist auch der Zusatzpflichtteil. Dieser kommt zum Tragen, wenn der Pflichtteilsberechtigte zwar Erbe ist, aber seine Erbquote niedriger ist als sein Pflichtteil wäre. Die Differenz kann er dann von den übrigen Miterben verlangen.

Nicht zu vergessen sind auch Pflichtteilsergänzungsansprüche. Des Öfteren wird nämlich versucht, Pflichtteilsansprüche entsprechend Berechtigter zu vermindern, indem Dritten Schenkungen bereits zu Lebzeiten gemacht werden. Meist handelt es sich hier um wertvolle Grundstücke oder Oldtimer. Ohne entsprechende gesetzliche Vorschriften würden diese Schenkungen nicht in den Nachlass fallen und somit für die Pflichtteilsberechnung unberücksichtigt bleiben. Der Gesetzgeber hat dies allerdings erkannt und mit § 2325 BGB einen weiteren Schutz für den Pflichtteilsberechtigten geschaffen: den Pflichtteilsergänzungsanspruch. Eine Schenkung, die innerhalb der letzten 10 Jahre erfolgt ist, wird dann nämlich fiktiv dem Nachlass hinzugerechnet und hieraus ein korrigierter Pflichtteil berechnet. Zu beachten ist, dass der „Wert“ der Schenkung unter Umständen über die Jahre abschmilzt, wenn es sich um eine sog. verbrauchbare Sache handelt. Unter bestimmten Umständen können auch ältere Schenkungen mit dem ungekürzten Wert berücksichtigt werden.

In der praktischen Umsetzung der Vorschriften zum Pflichtteilsrecht ergeben sich für den Berechtigten allerdings oftmals Probleme. Zum einen sind die Vorschriften, welche sich in den §§ 1922 bis 2385 BGB finden, doch recht unübersichtlich. Sodann wird auch der enterbte Pflichtteilsberechtigte dem Erblasser in der Regel nicht so nahestehen, dass er Einsicht in die Vermögensverhältnisse des Erblassers hat. Wenn die Erben entsprechende Auskünfte, die zur Berechnung des Pflichtteils notwendig sind, verweigern, kann der dem Pflichtteilsberechtigten zustehende Anspruch beispielsweise durch eine sog. Stufenklage geltend gemacht werden, auf deren Grundlage auch die außergerichtliche Geltendmachung eines Pflichtteils erfolgt:

  1. Auskunft

    Die Auskunft hat sich auf ein Bestandsverzeichnis zu belaufen, indem sämtliche Aktiva und Passiva des Nachlasses aufzunehmen sind. Zu den Aktiva zählen u.a. sämtliche Grundstücke, Bankguthaben, Bargeldbestände, Wertpapiere, Kunstgegenstände, Schmuck, etc. Zu den Passiva gehören u.a. die Schulden des Erblassers und die durch den Erbfall entstandenen Kosten. Darüber hinaus müssen die Erben im Hinblick auf § 2325 BGB alle von dem Erblasser innerhalb der letzten zehn Jahre vor seinem Tod vorgenommene Zuwendungen mit aufnehmen, auch wenn Schenkungen nicht an die Erben erfolgt sind. Soweit der Ehegatte des Erblassers Miterbe ist, sind sämtliche Schenkungen seit Eheschließung zu berücksichtigen, nicht nur diejenigen der letzten 10 Jahre.

  2. Eidesstattliche Versicherung

    Bestehen Zweifel an der Ordnungsgemäßheit und Vollständigkeit der Angaben, kann eine eidesstattliche Versicherung über die Richtigkeit der Auskunft verlangt werden. Wird eine solche abgegeben, macht sich der Verpflichtete strafbar, wenn sich später die Unrichtigkeit der Angaben herausstellt.

  3. Leistung

    Nach Erledigung der vorigen Stufen kann auf Leistung des Pflichtteils geklagt werden. Vorteil der Stufenklage ist dabei, dass sämtliche Stufen in einem Verfahren erledigt werden und die Verjährung für den Leistungsanspruch bereits durch die Auskunftsstufe gehemmt wird.

Damit kann sichergestellt werden, dass der Pflichtteilsberechtigte genau das erhält, was ihm von Gesetzes wegen zusteht. Andersherum kann damit auch Klarheit darüber geschaffen werden, was ihm nicht zusteht. Gerade bei bebauten Grundstücken und dem anzusetzenden Wert besteht sowohl Streit- aber auch Gestaltungspotential. Sowohl außergerichtlich als auch im Zivilprozess werden hier meist Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen, um den tatsächlichen Wert der Sache, z.B. eines (bebauten) Grundstücks oder wertvollen Oldtimers feststellen zu können.

Der Zeitpunkt der Wertermittlung ist grundsätzlich immer derjenige des Todes des Erblassers. Das ist insbesondere wichtig bei im Nachlass vorhandenen Aktiendepots, deren Wert naturgemäß von Tag zu Tag schwankt. Bei Pflichtteilsergänzungsansprüchen, also bei zu berücksichtigenden Schenkungen, kommt es darauf an, welcher Wert niedriger ist (sog. Niederstwertprinzip) - derjenige zum Zeitpunkt der Schenkung oder derjenige zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers.