Der Verrat von Geschäftsgeheimnissen

Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche bei angeblichen Verstößen gegen Verschwiegenheitsvereinbarungen

Ein beliebtes Mittel von Arbeitgebern, sich im Streit mit einem unliebsamenArbeitnehmer einen (vermeintlichen) Vorteil zu verschaffen, liegt oft darin, dem Arbeitnehmer zu unterstellen, er habe gegen eine arbeitsvertragliche Verschwiegenheitspflicht verstoßen und Geschäfts- und/oder Betriebsgeheimnisse verraten. Eine solche Behauptung wird dann genutzt, um dem Arbeitnehmer mit der Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen und immensen Schadensersatzansprüchen zu drohen. Ziel ist es dabei regelmäßig, den Arbeitnehmer zur Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrages drängen zu können oder aber sich im Kündigungsschutzprozess mit einem Arbeitnehmer in eine vermeintlich bessere Position zu bringen. Es lohnt daher ein Blick darauf, ob eine solche Taktik Erfolg haben kann und welche Voraussetzungen derartige Ansprüche haben.

  1. Ansprüche aus dem GeschGehG
    Seit dem 26.04.2019 wurde mit dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (Geschäftsgeheimnisgesetz, GeschGehG) die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 08.06.2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertrauliche Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung umgesetzt. Seit diesem Zeitpunkt besteht damit ein Spezialgesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Grundsätzlich ist daher jeder Sachverhalt an den Voraussetzungen dieses Geschäftsgeheimnisgesetzes zu prüfen.

    Nach der Legaldefinition des § 2 Nr. 1 lit. a), b) und c) GeschGehG ist ein Geschäftsgeheimnis eine Information, die - weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist und daher von wirtschaftlichem Wert ist und - der Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber ist und - bei der ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht.

    Die genannten, vom Gesetz aufgestellten, Voraussetzungen für das Vorliegen eines Geschäftsgeheimnisses müssen damit kumulativ vorliegen.

    Der Arbeitgeber als Anspruchsteller muss also, um Ansprüche wegen der Verletzung eines Geschäftsgeheimnisses geltend zu machen zu können, in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren vortragen und gegebenenfalls unter Beweis stellen, dass die oben genannten Voraussetzungen allesamt vorliegen, also dass es sich um Informationen handelt, die in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, nicht allgemein bekannt sind oder nicht ohne Weiteres zugänglich sind; dass diese behaupteten Informationen von wirtschaftlichem Wert sind; dass die betreffenden Informationen Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber sein sollen und dass ein berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung besteht.

    Erfahrungsgemäß gelingt es Arbeitgebern nicht, das Vorliegen aller vom Gesetz aufgestellten Behauptungen nachzuweisen. Insbesondere der Nachweis, dass die betreffenden Informationen angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen unterlagen, ist in der Regel schwer zu führen.

    § 6 GeschGehG scheidet daher bereits in vielen Fällen als Anspruchsgrundlage alleine deshalb aus, weil es sich bei Nichtvorliegen der im Gesetz genannten Voraussetzungen schon nicht um ein Geschäftsgeheimnis im Sinne der vorgenannten Legaldefinition handelt.
  2. Deliktische Ansprüche

    Eine interessante Folge der Einführung des GeschGehG ist, dass die bislang hauptsächlich in Betracht kommende Anspruchsgrundlage, nämlich § 823 Abs. 1 BGB, aufgrund der Schaffung einer spezialgesetzlichen Regelung im Geschäftsgeheimnisgesetz nunmehr als Anspruchsgrundlage ausscheiden dürfte:

    „Die Rechtsdurchsetzung ist jedoch in den §§6 ff. für Rechtsverletzungen nach dem GeschGehG abschließend geregelt, sodass bei Rechtsverletzungen für eine ergänzende Anwendung des § 823 Abs. 1 BGB kein Raum bleibt. Ein Heranziehen des Rechts am Unternehmen (Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb) kommt neben dem §§ 6 ff. schon deswegen nicht in Betracht, weil dieses sonstige Recht gegenüber dem spezialgesetzlichen Unternehmensschutz einen subsidiären Charakter aufweist.“ (so ausdrücklich Alexander in Köhler/Bornkamm/Feddersen, vor § 1 GeschGehG RdNr. 91).

    Auch weitere deliktische Ansprüche scheiden nach der Rechtsprechung aus. Das Landesarbeitsgericht Köln führt insoweit aus:

    „Anspruchsgrundlage für den von der Klägerin verfolgten Unterlassungsanspruch kann nur das zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung gültige Gesetz und damit § 6 GeschGehG sein. § 17 UWG ist ersatzlos außer Kraft getreten. Damit ist als einzige verbleibende Anspruchsgrundlage § 6 GeschGehG für die Entscheidung zu Grunde zu legen. Nach allgemeiner Ansicht verdrängt das Geschäftsgeheimnisgesetz sämtliche andere Anspruchsgrundlagen insbesondere §§ 823, 826 und § 1004 BGB. Es handelt sich um eine spezialgesetzliche, ausschließliche Regelung, die den Schutz von Geschäftsgeheimnissen aus dem UWG herauslöst und auf eigene Rechtsgrundlage stellt. Damit sind für die Frage, ob ein Geschäftsgeheimnis gegeben ist, sowohl die Begriffsbestimmungen als auch die erlaubten Handlungen und Handlungsverbote aus §§ 2, 3, 4 GeschGehG zugrunde zu legen.“ (LAG Köln, Urteil vom 02.12.2019, Az.: 2 SaGa 20/19, RdNr. 17 – Hervorhebung durch Unterfertigten)

    Die bislang oft herangezogenen deliktischen Anspruchsgrundlagen stehen damit seit Einführung des GeschGehG nicht mehr zur Verfügung.

  3. Vertragliche Ansprüche

    In Betracht kommen jedoch grundsätzlich vertragliche Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche auf Grundlage der im Arbeitsvertrag enthaltenen Klauseln. In der Regel enthalten - insbesondere ältere Arbeitsverträge - recht umfassende Verschwiegenheitsklauseln. Ganz übliche Klauseln wie die nachfolgende sind jedoch nach der Rechtsprechung unwirksam:

    „alle ihm im Rahmen seiner Tätigkeit zur Kenntnis gelangten geschäftlichen Angelegenheiten und Vorgänge, insbesondere Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, Stillschweigen bewahren.“ Es handelt sich bei einer solchen im Rahmen von AGB gestellten Klausel um eine so genannte „Catch-All-Klausel“.

    Das Landesarbeitsgericht Köln führt zu der Wirksamkeit einer solchen Klausel aus:

    „Soweit die Klägerin mit ihrem Antrag die Unterlassung der Weitergabe aller Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, die der Beklagte im Rahmenseines Arbeitsverhältnisses bei der Klägerin erfahren hat, verlangt, ist dieser Antrag bereits deshalb abzuweisen, weil es an einer derart weit gehenden nachvertraglichen Verpflichtung des Beklagten fehlt. Die Klägerin hat im Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten die Geheimhaltung aller Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie aller sonstigen, im Rahmen der Tätigkeit zur Kenntnis gelangten Angelegenheiten und Vorgänge der Gesellschaft vereinbart. Diese Verpflichtung zur Geheimhaltung besteht nach § 11 des Arbeitsvertrages über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus.

    Die Vereinbarung einer derart weiten Geheimhaltungsklausel nach demEnde des Arbeitsverhältnisses ist nach allgemeiner Ansicht unwirksam. Es handelt sich um eine so genannte Catch-All-Klausel, die den Arbeitnehmer bis an sein Lebensende verpflichten soll, jedwede im Rahmen des bisherigen Arbeitsverhältnisses erlangte Information, vorliegend sogar nicht einmal eingeschränkt auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sondern auf sämtliche im Rahmen der Tätigkeit zur Kenntnis gelangten Angelegenheiten und Vorgänge uneingeschränkt geheim zu halten. Die erkennende Kammer folgt insbesondere Vetter/Lehmann in „Der Betrieb“ 2019 Seite 2507, wonach Catch-All-Klauseln über das berechtigte Interesse des Arbeitgebers hinausgehen und der besonderen Situation des Arbeitnehmers nicht ausreichend Rechnung tragen. Zur gleichen Ansicht gelangt auch Holthausen in NZA 2019 Seite 1377. Danach enthält eine Catch-All-Klausel insbesondere für die Zeit nach Ende des Arbeitsverhältnisses eine übermäßige Vertragsbindung, die gemäß § 138 BGB unwirksam ist. Ein berechtigtes betriebliches Interesse des Arbeitgebers an der Geheimhaltung muss sich auf konkrete Daten/Sachverhalte beschränken und muss zudem angeben, wie lange nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses die geheimhaltungsbedürftige Tatsache noch geheim zu halten ist.

    Letztlich ist die vorliegende Klausel zumindest als allgemeine Geschäftsbedingung gemäß §§ 310 und 307 BGB unwirksam. EineBindung ohne jede zeitliche Beschränkung und ohne inhaltliche Konkretisierung berücksichtigt nicht ausreichend die grundgesetzlich geschützte Rechtsposition des Arbeitnehmers. Der Gesetzgeber hat mit der Zulassung von Wettbewerbsklauseln einen angemessenen Ausgleich ermöglicht, der zudem vorsieht, dass die längste mögliche Bindungsfrist zwei Jahre beträgt und hierfür ein finanzieller Ausgleich zu zahlen ist. Ein inhaltlich und zeitlich uneingeschränktes Geheimnisschutzgebot führt letztlich dazu, dass der ausgeschiedene Arbeitnehmer in erheblicher Weise seine Berufstätigkeit einschränken muss, ohne dass eine zeitliche Grenze absehbar ist und ein finanzieller Ausgleich hierfür geleistet wird. Die vorliegende Klausel kann auch nicht nach dem Blue-Pencil-Test auf bestimmte Sachverhalte eingeschränkt werden, so dass sie für die Zeit nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses letztlich keinerlei Wirkung entfaltet. Damit ist der Arbeitnehmer frei, diejenigen Kenntnisse, die er im Arbeitsverhältnis rechtmäßig erworben hat, nach dem Ende des Vertrags zu nutzen.“ (LAG Köln, Urteil vom 02.12.2019, Az.: 2 SaGa 20/19, RdNrn. 19 - 21 – Hervorhebungen durch Unterfertigten)

    Eine arbeitsvertragliche Grundlage für Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche scheidet aufgrund einer solchen Klausel damit aus. Erforderlich wäre eine Klausel im Arbeitsvertrag, die genau definiert, welche Informationen der Geheimhaltung unterliegen und welche nicht.

    Im Ergebnis ist daher eine etwas absurd anmutende Situation festzustellen: Obwohl der Gesetzgeber ein eigenes Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen geschaffen hat, hat er die Durchsetzung von Ansprüchen in der Praxis sogar noch erschwert. Im Hinblick darauf, dass Ansprüche nach herrschender Auffassung nur noch auf die spezialgesetzliche Regelung gestützt werden können, müssen für die Geltendmachung von Ansprüchen zunächst einmal im Betrieb die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass überhaupt Geschäftsgeheimnisse im Sinne des GeschGehG vorliegen. Bereits an dieser Hürde scheitern Ansprüche regelmäßig. Werden Sie also mit Schadensersatz- oder Unterlassungsansprüchen konfrontiert, sollten Sie zwingend einen Fachanwalt für Arbeitsrecht aufsuchen, der prüft, ob die Voraussetzungen für die Geltendmachung eines solchen Anspruchs bestehen. Erfahrungsgemäß stehen die Chancen gut, dass bei effektiver Verteidigung die Ansprüche zum Scheitern verurteilt sind.