Vergütungspflicht von Überstunden und Prozesstaktik im Überstundenprozess

Vergütung von Überstunden

Eine Pflicht zur Vergütung von Überstunden ergibt sich aus § 612 Abs. 1 BGB ergeben, nach welchem eine Vergütung als stillschweigend vereinbart gilt, wenn die Arbeitsleistung nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Explizit geregelt sein kann die Vergütungspflicht im jeweiligen Arbeitsvertrag oder in einem (anwendbaren) Tarifvertrag. Diese (Vor-)Frage ist zunächst immer zu prüfen.

Vortrag und Beweislast des Arbeitnehmers im Überstundenprozess auf der ersten Stufe:

Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben im Rahmen einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast zu den Überstunden vorzutragen. Auf der ersten Stufe muss der Arbeitnehmer zunächst vortragen, wann genau die Überstunden angefallen sein sollen. Insoweit ist es zwingend erforderlich, die übliche Arbeitszeit und die geleisteten Pausen sowie die Überstunden im Einzelnen zeitlich genau vorzutragen. Der Arbeitnehmer muss in diesem Zusammenhang auch darlegen und beweisen, in welchem Umfang die übliche Arbeitszeit auf Anweisung des Arbeitgebers überschritten wurde. Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 21.12.2016 (Az.: 5 AZR 362/16) konkretisiert, dass der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast auf der ersten Stufe genügt, wenn er vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet hat oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat. Speziell für den entschiedenen Fall eines Kraftfahrers hat das Bundesarbeitsgericht die Auffassung vertreten, dass Aufzeichnungen nach § 21a Abs. 7 des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) für die Rekonstruktion und Darlegung der Arbeitszeit geeignet sind. Dazu kann als Hilfsmittel die Aufzeichnungen eines Fahrtenschreibers verwendet werden. Inhaltliche Angaben zu den ausgeführten bzw. geschuldeten Arbeiten muss der Arbeitnehmer auf der ersten Stufe noch nicht machen. In der angesprochenen Entscheidung vom 21.12.2016 hat sich das Bundesarbeitsgericht im Übrigen dazu erklärt, welche Arbeitszeiten bei einem Berufskraftfahrer vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellt: So liegt eine vergütungspflichtige Arbeitszeit vor, wenn der Kraftfahrer beispielsweise im Falle von Be- und Entladearbeiten Dritter nicht frei über seine Arbeitszeit verfügen kann. Hierbei zählt jede durch den Arbeitgeber veranlasste oder ihm zuzurechnende Untätigkeit, während derer der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz oder einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle anwesend sein muss und nicht frei über die Nutzung seiner Zeit bestimmen kann. Eine Vergütungspflicht besteht nach den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts selbstverständlich immer dann, wenn ein Kraftfahrer eine angewiesene Fahrt nur unter Leistung von Überstunden ausführen kann. Lediglich dann, wenn der Arbeitgeber darlegen kann, dass die Fahrt innerhalb der Normalarbeitszeit ausgeführt werden kann, hat der jeweilige Arbeitnehmer besondere Umstände darzulegen, die die Überschreitung der Normalarbeitszeit rechtfertigen.

Vortrag und Beweislast des Arbeitgebers im Überstundenprozess auf der zweiten Stufe:

Auf den Vortrag des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber sodann auf der zweiten Stufe im Einzelnen vortragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen und in welchem Umfang der Arbeitnehmer diese Arbeiten erfüllt bzw. nicht erfüllt hat. Sofern er diesem Vortrag nicht ausreichend nachkommt, gilt der Sachvortrag des Arbeitnehmers prozessual als zugestanden. Im Falle des Kraftfahrers hat das Bundesarbeitsgericht konkretisiert, dass der Arbeitgeber zur Darlegung der Arbeitszeit unter Auswertung der Aufzeichnungen nach § 21a Abs. 7 ArbZG substantiiert darlegen muss, an welchen Tagen der Arbeitnehmer aus welchen Gründen im geringeren zeitlichen Umfang als von ihm behauptet gearbeitet hat. Der Arbeitgeber kann in diesem Zuge im Übrigen den Nachweis erbringen, dass der Vortrag des Arbeitnehmers zu den geleisteten (Über-)Stunden unrichtig ist.

Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers im Überstundenprozess auf der dritten Stufe:

Sofern der Arbeitgeber zu den dem Arbeitnehmer zugewiesenen Arbeiten und dem Umfang der (Nicht-)Erfüllung dieser Arbeiten vorgetragen hat, muss der Arbeitnehmer wiederum auf der dritten Stufe darlegen, dass die Leistung der Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt oder geduldet wurde oder diesem zumindest zuzurechnen sind. Der Arbeitnehmer muss also näher darlegen, wer, wann und auf welche Weise zu erkennen gegeben hat, dass er mit der Leistung der Überstunden einverstanden ist bzw. von welchen wann geleisteten Überstunden der Arbeitgeber auf welche Weise wann Kenntnis erlangt hat.

Fazit zur Prozesstaktik im Überstundenprozess für Arbeitnehmer und Arbeitgeber:

Auch hier gilt, wie wichtig die Beachtung der jeweiligen Vortragslast im Prozess ist. Ein falsches taktisches Verhalten kann alleine schon zu einem Unterliegen einer Prozesspartei führen. Oder anders gewendet: Obwohl der Arbeitnehmer im Prozess grundsätzlich die Beweislast für Vergütungspflicht, Ableistung und Anordnung bzw. Billigung von Überstunden trägt, ist ein solcher Prozess von vorneherein nicht ohne Aussicht auf Erfolg (die richtige Anwendung des Prozessrechts vorausgesetzt). Oder anders gewendet: Der Arbeitgeber muss in seinen Vortrag nicht unerhebliche Sorgfalt und Mühe investieren. Das wird häufig unterschätzt. Im Ergebnis werden also Chancen und Risiken im Prozess maßgeblich durch das Prozessrecht bestimmt.

Johannes Falch, MBA

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Zertifizierter Berater für Kündigungsschutzrecht (VdAA – Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e.V.)

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